Panel (Hybrid)

1.2: Die Praxis der Integration: Staatliche Maßnahmen, regionale Herausforderungen und lokale Ausgestaltungen

Chairs: Prof. Dr. Gerhild Perl (Universität Trier) , Dr. Anett Schmitz (Universität Trier)

Der Begriff „Integration“ wird sowohl in der gesellschaftlichen Debatte als auch im wissenschaftlichen Diskurs kontrovers diskutiert. Um der Diversifizierung von Gesellschaft gerecht zu werden, wird „Integration“ heute zunehmend in einem Wechselverhältnis von Inklusion und Exklusion untersucht, wobei Gesellschaft als prozessual, fragmentiert und differenziert betrachtet wird. Vor diesem Hintergrund ist eine kritische Auseinandersetzung nicht nur mit dem Begriff der Integration, sondern auch der damit verbundenen Integrationspolitik und –Praxis relevant. Was Integration ist, wie sie definiert und lokal ausgestaltet wird, hängt sowohl von staatlichen Maßnahmen und strukturellen Bedingungen, als auch von sozialen Netzwerken, vielfältigen Wert- und Zukunftsvorstellungen und lokalen Kontexten ab. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage nach alternativen Ansätzen und Integrationspraktiken auf, die die Bedürfnisse von Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte besser abbilden und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen bzw. fördern.

Dieses Panel zielt zum einen auf eine kritische Analyse des Integrationsbegriffs, zum anderen geht der Frage nach wie Integrationspraxis in lokalen und regionalen Kontexten vollzogen wird. Dabei nimmt das Panel unterschiedliche Perspektiven der in diesem komplexen Prozess beteiligten Personen wie Menschen mit Fluchtgeschichte sowie institutionelle und ehrenamtliche Akteur:innen ein, um Herausforderungen und Chancen der lokalen Integrationspraktiken aufzuzeigen, praxisnahe Handlungsempfehlungen auszusprechen und Perspektiven jenseits staatlicher Integrationsmaßnahmen auszuloten.

Sprachen
  • Deutsch

Der Orientierungskurs als Teil des Integrationskurses – Zwischen Wissensvermittlung und wertebasierter politischer Bildung

Seit seiner Einführung 2005 stellt das bundesweite System der Integrationskurse die zentrale Integrationsmaßnahme im Bereich der Sprache dar und wird ständig fortentwickelt. In Deutschland gibt es kein vergleichbares Angebot zum Orientierungskurs in der politischen Erwachsenenbildung, das in derselben Größenordnung Zugewanderte auch aufgrund des (teilweise) verpflichtenden Charakters sowie frühzeitig nach ihrem Ankommen erreicht. Der Integrationskurs richtet sich als Bildungsangebot primär an erwachsene Geflüchtete. Im Sprachkurs erfolgt die Vermittlung von Deutschkenntnissen bis zum Sprachniveau B1; der anschließende Orientierungskurses beinhaltet die Wissensvermittlung von Alltagswissen, Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland sowie die Wertevermittlung entlang des Grundgesetzes. In der bisherigen empirischen Forschung wurde der Orientierungskurs im Vergleich zum Sprachkurs weniger untersucht. Dieser Forschungslücke widmet sich eine qualitative Teilstudie des BAMF-Forschungsprojekts „Evaluation der Integrationskurse (EvIk)“ auf der Basis von wissenschaftlichen Unterrichtsbeobachtungen (6 Kurse à 3 Tage), Fokusgruppeninterviews mit Lehrkräften (insgesamt 20 Lehrkräfte) und Experteninterviews mit zwei Akteuren der politischen Bildung.

Der Beitrag behandelt unter anderem die Fragen, welche Strategien die Beteiligten – Lehrkräfte und Kursteilnehmenden – im Unterricht nutzen, um mit den Herausforderungen resultierend aus Fluchterfahrungen, heterogenen Bildungs- und Sprachniveaus sowie vielfältigen Wertvorstellungen umzugehen. Hierbei liegt der Fokus auf dem Umgang mit konfliktreichen Themen im Rahmen der wertebasierten politischen Bildung im Orientierungskurs. Vor dem Hintergrund der beobachteten Unterrichtspraxis erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Orientierungskurs angesichts der strukturellen Bedingungen sowie der lehrkraftbezogenen Faktoren, um darzustellen, auf welche Weise die Wissens- und Wertevermittlung individuell ausgelegt wird sowie welche Rolle dabei auch kommunale Bezüge und Alltagserfahrungen spielen.

Integration und Teilhabe: Perspektiven von Geflüchteten, ehrenamtlich Engagierten und hauptamtlich Tätigen in Trier und Umgebung

In Diskussionen über Migration, Flucht und Asyl steht die Integration geflüchteter Menschen immer wieder im Fokus. Doch was genau verstehen verschiedene Akteur:innen unter Integration? Wann gilt sie als erfolgreich, und welche Faktoren und Strukturen beeinflussen diesen Prozess maßgeblich? Diese Fragen werden im vorliegenden Vortrag anhand einer Pilotstudie der Universität Trier zu den Themen Integration und Teilhabe vertieft. Basierend auf einer qualitativen Forschung mit Menschen mit Fluchtgeschichte, ehrenamtlichen Unterstützer:innen sowie hauptamtlichen Mitarbeiter:innen werden Einblicke in folgende gesellschaftliche Schlüsselbereiche der Integrationspolitik gegeben: Sprache, Bildung, Arbeit, Wohnen und Gesundheit. Dabei werden die vielfältige Erfahrungen, Einschätzungen und Bewertungen von zeitgenössischen Integrationspraktiken diskutiert. Darüber hinaus wird gezeigt, wie bürokratische Herausforderungen die Praxis der Integration das alltägliche Leben der Akteur:innen in der Grenzregion Trier prägt. Zudem werden die in der Pilotstudie entwickelten Handlungsempfehlungen für Praktiker:innen, Multiplikator:innen und Entscheidungsträger:innen vorgestellt, um einen problemorientierten Einblick in lokale und regionale Integrationspraktiken und -Herausforderungen zu geben und um Impulse für eine zukünftige, bedarfsgerechte Gestaltung von Integrationsmaßnahmen zu diskutieren.

Self-care, experiences of protection and continuous crisis in the everyday of refugees in Norway and Switzerland

This paper explores how the lives of persons unfold once they have reached a legal safe haven and been granted asylum. What are everyday meanings and experiences of legal protection? To what extent are they marked by expectations for persons to integrate? And how do those affected engage with these experiences and expectations? To address these questions, we draw on ethnographic research conducted among persons who received refugee status in Norway and Switzerland. Vigh’s concept of navigation combined with theoretical approaches to self-care help us reveal how those affected act upon different dimensions and implications of asylum as an everyday condition. Our findings show that the way asylum is governed at the everyday level promotes a situation of continuous crisis rather than facilitating experiences of encompassing protection. Much of what we identify as driving this crisis is closely related to the principles of refugee governance and the emphasis placed on integration requirements. As a result, refugees remain stuck in the position of a perpetual other with few possibilities to build on their capacities to aspire. We also find that they navigate conditions of crisis to evade imminent constraints and restrictions while also trying to generate moments of recovery and self-care. We argue that there is a need to reconsider the self-image of liberal states as safe havens and to work towards lasting transformations of the structures and power relations that create and uphold the identified limitations of legal protection and that turn asylum into a condition of continuous struggle.

Neue Realitäten sozialer Integration in Krisenzeiten im Kontext von (ukrainischer) Zwangsmigration: Herausforderungen für die Verwaltung auf lokaler Ebene und Anpassungen für die urbane Resilienz

Die Ankunft vieler Geflüchteter, zuletzt aus der Ukraine, stellt eine Herausforderung für lokale Governacestrukturen dar, da sie den Druck auf soziale Infrastrukturen und Dienstleistungen erhöht. Kommunen, die für die Aufnahme und Integration verantwortlich sind, indem sie für Wohnraum, Kinderbetreuung, Schulbildung und Gesundheitsversorgung sorgen, müssen sich trotz oft knapper Ressourcen auf lokaler Ebene an sich ständig ändernden Bedürfnisse der Migranten*innen anpassen. Zudem lassen der temporäre Schutzstatus und die damit verwährten Rechte viele Geflüchtete im Ungewissen, ob sie im Ausland bleiben oder zurückkehren sollen bzw. müssen. Ihre dadurch provisorischen und transnationalen Lebensverhältnisse können Integrationsarbeit, die eine langfristige Niederlassung in Deutschland erleichtern sollen, weiter in Frage stellen.

Solche "Krisen" bieten Chancen für einen systemischen Wandel lokaler Integrationspolitik. Anhand einer Fallstudie zur ukrainischen Zwangsmigration untersucht dieser Beitrag, wie elf Kommunen in Deutschland die soziale Eingliederung in der Stadt regeln, indem sie Strukturen und Wissen aus früheren "Krisen" mobilisieren und neue Entwicklungen antizipieren, die wir als urbane Resilienz verstehen. Dazu stützt sich der Beitrag insbesondere auf teilnehmende Beobachtung von drei Online-Dialogen mit Vertreter*innen der Kommunen sowie auf 25 Interviews mit lokalen Verwaltungen und der Zivilgesellschaft Integrationspolitik auf lokaler Ebene, die zwischen April 2023 und März 2024 durchgeführt wurde. Durch die Problematisierung des Krisenbegriffs und die Herausarbeitung der Faktoren, die sich auf die Kapazitäten verschiedener Kommunen bei der Anpassung an die vielfältigen Bedürfnisse der Bevölkerung auswirken, leisten wir einen Beitrag zur Debatte über urbane Resilienz im Kontext von Migration und Integration.

Die Praxis der Integration: Staatliche Maßnahmen, regionale Herausforderungen und lokale Ausgestaltungen

Der Begriff „Integration“ wird sowohl in der gesellschaftlichen Debatte als auch im wissenschaftlichen Diskurs kontrovers diskutiert. Um der Diversifizierung von Gesellschaft gerecht zu werden, wird „Integration“ heute zunehmend in einem Wechselverhältnis von Inklusion und Exklusion untersucht, wobei Gesellschaft als prozessual, fragmentiert und differenziert betrachtet wird. Vor diesem Hintergrund ist eine kritische Auseinandersetzung nicht nur mit dem Begriff der Integration, sondern auch der damit verbundenen Integrationspolitik und –Praxis relevant. Was Integration ist, wie sie definiert und lokal ausgestaltet wird, hängt sowohl von staatlichen Maßnahmen und strukturellen Bedingungen, als auch von sozialen Netzwerken, vielfältigen Wert- und Zukunftsvorstellungen und lokalen Kontexten ab. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage nach alternativen Ansätzen und Integrationspraktiken auf, die die Bedürfnisse von Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte besser abbilden und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen bzw. fördern.

Dieses Panel zielt zum einen auf eine kritische Analyse des Integrationsbegriffs, zum anderen geht der Frage nach wie Integrationspraxis in lokalen und regionalen Kontexten vollzogen wird. Dabei nimmt das Panel unterschiedliche Perspektiven der in diesem komplexen Prozess beteiligten Personen wie Menschen mit Fluchtgeschichte sowie institutionelle und ehrenamtliche Akteur:innen ein, um Herausforderungen und Chancen der lokalen Integrationspraktiken aufzuzeigen, praxisnahe Handlungsempfehlungen auszusprechen und Perspektiven jenseits staatlicher Integrationsmaßnahmen auszuloten