Virtueller Fachworkshop „Ein frischer Start? Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft & Analyse des EU Asyl-und Migrationspakts“

Zum Jahreswechsel endete die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands nach einem halben Jahr. Das Centre for Human Rights Erlangen-Nürnberg (CHREN) startete im Rahmen des FFVT-Projekts deshalb mit einem virtuellen Fachworkshop in das Jahr 2021, um auf die vergangenen sechs Monate zurückzublicken sowie über den im September 2020 veröffentlichten Vorschlag für einen neuen Asyl-und Migrationspakt der EU-Kommission zu diskutieren. Dafür kamen am 8.Januar 2021 in zwei Panels Wissenschaftler*innen und Politiker*innen unter der Moderation von Prof. Petra Bendel und Dr. Lorenz Wiese zusammen.

Zu Beginn zogen Anuscheh Farahat, Professorin für Öffentliches Recht, Migrationsrecht und Menschenrechte an der Universität Erlangen-Nürnberg, Gerald Knaus, Vorsitzender des Think Tanks European Stability Initiative (ESI) in Berlin, sowie Daniel Thym, Professor für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Konstanz, ihr Resümee. Letzterer äußerte sich enttäuscht über die Ergebnisse der deutschen Ratspräsidentschaft, da gerade im Bereich Migration und Asyl kein Durchbruch erreicht worden sei. Dafür verantwortlich machte er unter anderem die Kombination aus der späten Veröffentlichung und der Komplexität des Vorschlages für den Asyl-und Migrationspakt der EU-Kommission. Thym kam zu dem Schluss: „Corona absorbierte zu viele Ressourcen, die Zeit war zu knapp und die Vorschläge viel zu kompliziert.“ Den Asyl-und Migrationspakt evaluierte er in mehreren Punkten als unzureichend: So würde das Dublin-Verfahren darin zwar formal abgeschafft, die alten Regelungen jedoch größtenteils fortgesetzt. Knaus schloss sich dieser Kritik an und machte besonders auf die Situation an den EU-Außengrenzen aufmerksam, an denen geltendes Recht de facto nicht eingehalten werde. Die größten Defizite im vorgelegten Pakt bestünden für ihn in der fehlenden Interessenvertretung der Staaten an den Außengrenzen sowie in den mangelnden Vorschlägen zur Veränderung der derzeitigen Lage auf den griechischen Inseln und im Mittelmeer. Im Rückblick auf die vergangenen Monate sowie auf jahrelange Push backs und miserable Unterbringung von Geflüchteten fasste Knaus zusammen: „Die Achillesferse des EU-Migrationspaktes ist es, dass die Lehren daraus nicht gezogen wurden.“

Gegenüber den Kommissionsvorschlägen einer „flexiblen Solidarität“ und sogenannter „Rückkehrpatenschaften“ äußerte Farahat Skepsis, da die Mitgliedsstaaten daran kein Interesse hätten. Dabei wies sie auch auf die Gefahr hin, dass die wenigen sinnvollen Ansätze, weitere Kriterien für die Verteilung Schutzsuchender in den Dublin-Mechanismus aufzunehmen, am Ende des Tages nicht realisiert würden. Stattdessen seien infolge dieser Vorschläge weitere Verschärfungen zu erwarten.

Der zweite Teil des Fachworkshops brachte die Politikerinnen Lena Düpont (CDU), Cornelia Ernst (Die Linke) und Birgit Sippel (SPD), alle drei Mitglieder des Europäischen Parlaments, sowie Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages für Bündnis90/Die Grünen), zusammen.

Vor allem Luise Amtsberg, Cornelia Ernst und Birgit Sippel schlossen mit ihrer Kritik an die Vorredner*innen des ersten Panels an. Dabei hoben sie hervor, dass es sich nicht um einen wahrhaftig europäischen Vorschlag handle, sondern viel zu viel Verantwortung auf die Mitgliedsstaaten abgeladen werde; eine „Zweiklassengesellschaft“ im Asylverfahren provoziert und am Prinzip der Ersteinreisestaaten festgehalten werde. Lena Düpont dagegen betrachtete den Vorschlag der EU-Kommission angesichts der langjährigen Debatten als pragmatisch und betonte die darin enthaltenen Angebote für alle Mitgliedsstaaten, an denen nun weitergearbeitet werden könne.

Aus verschiedenen akademischen und politischen Perspektiven lieferte dieser Fachworkshop somit eine umfassende Bilanz des vorgelegten EU Asyl- und Migrationspakts,sowie der Rolle Deutschlands während der Ratspräsidentschaft. Zudem trug er zur Vernetzung und Austausch zwischen den Expert*innen bei.

Autor*innen:

  • Magdalena Fackler, Studentische Hilfskraft am CHREN

  • Lorenz Wiese, Vernetzungsstelle am CHREN