FFVT Fokus: EU-Migrationspakt und Corona-Krise: Vom Sichtbaren und Unsichtbaren im globalen Fluchtgeschehen
Die öffentliche Wahrnehmung des globalen Fluchtgeschehens wurde im vergangenen Jahr von einer Reihe dominanter, vor allem politischer Themen geprägt, daneben gab es aber noch viele weniger sichtbare, aber deshalb nicht weniger wichtige Ereignisse. Als deutlich wahrnehmbares und bedeutendes Ereignis in der zweiten Jahreshälfte 2020 ist der Vorschlag für einen europäischen Pakt für Migration und Asyl zu nennen. Ratspräsidentin von der Leyen legte bei der Vorstellung des Pakts eine hohe Messlatte an (Europa „managt Migration auf eine humane Art“), die einer kritischen Überprüfung allerdings nicht stand hielt. Auch gelang es unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nicht, ihn zu verabschieden. Daneben wurde auch die Verlängerung der gemeinsamen aber ebenfalls umstrittenen EU-Türkei Erklärung von 2016 thematisiert. In diesem Zusammenhang geriet zudem die EU-Grenzschutzagentur Frontex ins Fadenkreuz, insbesondere aufgrund von rechtswidrigen Rückschiebungen, sogenannter „push backs“. Im Juli wird ein Bericht des Europäischen Parlaments zu erwarten sein. Deutlich vernehmbar kritisierten der Europarat und der UNHCR den Zustand des Flüchtlingsschutzes in Europa, „an Europas Grenzen wird das Asyl angegriffen“.
Andere Entwicklungen blieben daneben unsichtbar. Die COVID-19- Pandemie und die getroffenen Gegenmaßnahmen haben die Situation in vielen fragilen Staaten verschlechtert. Geschlossene Grenzen haben die globalen Flucht- und Migrationsbewegungen stark eingeschränkt und zwingen Menschen zu irregulären Grenzübertritten; Schutzsuchende gelangten in 2020 nur noch in geringer Zahl nach Europa. Insbesondere die vermehrt nach innen gerichteten öffentlichen Debatten drängen andere globale Dramen in den Hintergrund. Kaum mehr ist die Rede von den drei Millionen geflüchteten und Belagerten in Idlib, Nordwest Syrien, dem Pandemie-bedingten Hunger unter Syrer*innen in der Türkei, den nach wie vor in Lagern hausenden 350.000 Überlebenden des Genozides an den Jesiden im Irak, neu Vertriebenen des jüngsten Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien oder derer, die vor den jüngsten Angriffen des IS in Nord-Mozambik flüchten. Sie alle tauchen höchstens als kalte Zahlen in Statistiken auf. Die Forschung wird hier noch einiges Licht ins Dunkel bringen müssen.
Besorgniserregend sind auch die Kriegsdrohungen Russlands gegenüber der Ukraine, denn: Ein militärischer Konflikt würde nicht nur Tod und Zerstörung mit sich bringen, sondern auch weitere hunderttausende oder gar Millionen von Menschen in Europa vertreiben. Positive Signale kommen dagegen aus den USA, die ihre Grenzen schrittweise wieder für Geflüchtete öffnen sowie aus Kolumbien, welches hunderttausenden von Geflüchteten aus Venezuela einen sicheren Aufenthaltsstatus gewährt. Insgesamt steht es aber nach wie vor nicht gut um die Unerwünschten dieser Erde.
Franck Düvell, IMIS